Wer bin ich?
Eine kleine Begegnung mit Ramana Maharshi - und mit dir selbst
Kürzlich erzählte mir jemand, dass ihn seit vielen Jahren eine einzige Frage begleitet: Wer bin ich?
Genau diese Frage hat auch das Leben eines indischen Weisen geprägt:
Ramana Maharshi.
Wenn du magst, lass uns einen Moment mit dieser Frage sitzen.
Wer war dieser Mensch?
Und warum berührt seine Suche noch heute so viele?
Ramana Maharshi wurde 1879 im Süden Indiens geboren.
Er war weder Gelehrter, noch Mönch, noch Philosoph.
Mit sechzehn Jahren erlebte er etwas, das sein Leben radikal verändern sollte:
Er wurde plötzlich von heftiger Todesangst gepackt.
Doch statt ihr auszuweichen, beschloss er, sich ihr zu stellen.
Er beschloss, nicht davonzulaufen, sondern genau hinzuschauen.
Er nahm diese Angst als Anlass für eine kompromisslose Innenschau.
Er stellte sich die Frage:
Wer oder was stirbt da eigentlich?
Was er dabei entdeckte, war genauso schlicht wie radikal.
Er erkannte sein “wahres Selbst”:
“Ich bin nicht der Körper, nicht die Gedanken.
Ich bin das Bewusstsein, das all dies wahrnimmt.”
Etwas später beschrieb er diese Erfahrung noch ausführlicher:
„Das Selbst war etwas sehr Reales, das einzige Reale in meinem derzeitigen Zustand, und die gesamte bewusste Aktivität meines Körpers konzentrierte sich auf dieses Selbst. Seither ist die faszinierende Kraft dieses Selbst im Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit geblieben […].
Das Aufgesaugt-Sein in das Selbst dauert seitdem ohne Unterbrechung an. Andere Gedanken erscheinen und verschwinden wieder, ähnlich wie die Noten eines Musikstücks, aber das Selbst ist wie ein Grundton unter den anderen Noten stets vorhanden und mischt sich mit diesen.
Auch wenn mein Körper vom Reden, Lesen oder was auch immer eingenommen ist, ist mein ganzes Sein nicht minder auf das Selbst zentriert.
Vor dieser Krise vermochte ich das Selbst nicht klar wahrzunehmen, und ich fühlte mich nicht bewusst vom Selbst angezogen.“
Nach dieser tiefen Erfahrung beschloss er, sich an den heiligen Berg Arunachala zurückzuziehen, wo er über fünf Jahrzehnte - also den Rest seines Lebens - in Stille lebte.
Menschen waren so fasziniert von ihm, dass sie von weit her kamen, um bei ihm zu sitzen.
Viele sagten später, dass alleine seine Gegenwart sie in eine tiefe, innere Ruhe führte.
Selbst-Erforschung
Er nannte seine Praxis “Selbst-Erforschung” (Atma Vichara).
Sie besteht aus einer einfachen, aber radikalen Frage:
“Wer bin ich?”
Diese Frage ist kein Rätsel, das man mit dem Verstand lösen kann.
Sie ist vielmehr ein torloses Tor.
Es öffnet sich, vielleicht, für einen Spalt,
wenn man aufhört, Antworten zu suchen.
Es öffnet sich, wenn du es schaffst, ganz bei der Frage zu bleiben.
Wenn du das Denken loslässt, und nur noch das übrig bleibt, was immer da ist:
reines Sein.
Und genau das hat Ramana Maharshi verkörpert.
Ich habe das Gefühl, du kannst dieses “reine Sein” spüren,
wenn du ihm auf dem Foto in seine Augen blickst.
Über Zeit und Raum hinweg.
Was mich an Ramana berührt, ist seine kompromisslose Einfachheit.
Er predigt nichts.
Er belehrt niemanden.
Er ist einfach nur da.
Wahrhaftig.
Ohne Worte.
Reines Sein.
In der Zen-Tradition gibt es ja denselben Impuls:
Wir schweigen, und lassen die Stille sprechen.
Ramana verkörperte dieses Schweigen.
Kein betretenes, verlegenes Schweigen,
sondern ein Schweigen, aus dem alles hervorgeht.
In einer turbulenten, gehetzten, atemlosen Welt,
in der alles immer komplizierter zu werden scheint,
verkörpert Ramana etwas zutiefst Befreiendes, Tröstendes:
Hör auf zu suchen.
Dir fehlt nichts.
Das Wesentliche ist schon da.
“Sei still - das Selbst wird sich offenbaren.”
Eine kleine Einladung
Wenn du magst, dann lade Ramana doch zu deiner nächsten Meditation ein.
Lass ihn neben dir sitzen.
Spür seine Gegenwart.
Und wenn Gedanken kommen, dann frag dich leise:
“Wer nimmt das wahr?”
”Wer kann beobachten, dass da Gedanken auftauchen?”
Und bleib einfach dort.


