Mit verknoteten Beinen
Lob der Morgenpraxis
Tut mir leid, aber ich kann nicht anders.
Ich muss mein Glück mit dir teilen:
Das Glück der Morgenpraxis.
Was für ein stilles Glück.
Was für ein unerwartetes Geschenk.
Es ist dieser frühe Moment.
Bevor der Tag sich entscheidet,
was er heute machen will.
Alles ist noch weich.
Unbestimmt.
Offen.
Ich setze mich aufs Kissen,
und es dauert nicht lange,
da kommen zwei freundliche, leise Fragen
zu Besuch.
Die eine fragt neugierig provokant:
Und? Wo suchst du nach dem Glück?
Die andere setzt augenzwinkernd nach:
Und? Wo findest du es?
Ich muss lächeln.
Denn die Antwort ist ganz nah.
Das Glück sitzt hier.
Auf meinem Kissen.
Zwischen Einatmen und Ausatmen.
Die kleine Flamme eines Streichholz
genügt,
um die Dunkelheit zu erhellen.
Und ein kleiner, wacher Moment
genügt,
um wieder zu mir zu kommen.
Das ist erstaunlich wenig!
Du brauchst dafür keine App.
Kein Budget.
Keinen Businessplan.
Nur einen einzigen
bewussten Atemzug.
Dann noch einen.
Und noch einen.
Und mir wird klar:
das ist mein größtes Glück!
Mich fühlen.
Mich spüren.
Mich erinnern.
Meine Morgenpraxis
hat sich im Lauf der Jahre verändert.
Sie ist … - gereift.
Was ich mit ihr erreichen will,
ist nicht mehr so wichtig.
Ich habe gelernt,
ihr einfach zu vertrauen.
Sie weiß,
was ich brauche.
Und so ist sie zum Boden geworden,
auf dem ich stehe,
wenn alles andere wankt.
Sie ist der Nordstern,
der mir Orientierung gibt,
in dunkler Nacht.
Sie ist der Nebelscheinwerfer,
der mich durch die Verwirrung
leitet.
Sie ist die Quelle,
aus der ich schöpfe:
Kraft, Klarheit und Zuversicht.
Und:
Sie ist das Lied geworden,
das ich singen will.
Mit verknoteten Beinen.


