Eile mit Weile - oder lieber gar nicht?
Was wir von einem Cree-Vater über Geduld und das Tempo des Lebens lernen können
Seit über zweitausend Jahren gibt es im Mahāyāna-Buddhisms die sogenannten Vier Großen Gelübde.
Das dritte lautet:
„Die Dharmatore sind zahllos.
Ich gelobe, sie alle zu durchschreiten.“
Ich liebe diesen Satz. (Wie überhaupt die Vier Großen Gelübde.)
Was meinst du? Was könnte er wohl bedeuten?
Er erinnert mich daran, dass es unzählige Zugänge zum Dharma, zur Lehre Buddhas, gibt. Und dass wir - als Übende - eingeladen sind, sie alle zu erforschen - im Kloster oder auf dem Retreat genauso wie mitten im Alltagsleben.
Kürzlich bin ich an einem unerwarteten Ort auf so ein “Dharmator” gestoßen: Ein Buch über indigene Pädagogik. Mit dem herrlich unaussprechlichen Titel Indigegogy.
Ein Angehöriger des Cree-Stammes erzählt darin eine Erinnerung aus seiner Kindheit:
Als Junge war er mit seinem Vater draußen in der Wildnis unterwegs, auf der sogenannten trap line, also um Fallen zu kontrollieren.
Er war ziemlich ungeduldig, und wollte möglichst rasch wieder zurück nach Hause, zu seinen Freunden im Reservat.
Der Vater hingegen war völlig ruhig. Der Busch war sein Zuhause, hier fühlte er sich ganz in seinem Element.
„Mein Vater muss gespürt haben, dass ich innerlich unruhig war,
denn er legte mir die Hand auf die Schulter,
sah mir in die Augen – was bei den Cree nicht üblich ist –
und sagte etwas wie:
›Es spielt keine große Rolle, ob du dich beeilst und rennst
oder ob du ruhig und langsam gehst –
du wirst in der Ewigkeit genau zur selben Zeit ankommen.‹“
Diese Worte haben etwas in mir tief berührt.
Sie haben etwas anklingen lassen …
… und dann sind Fragen aufgetaucht. Wie kleine Pilze auf dem feuchten Waldboden.
Was wäre …?
Was, wenn wir völlig verlernt haben, langsam zu sein?
Was, wenn die ständige Beschleunigung gar kein Zeichen von Lebendigkeit ist,
sondern ein Ausdruck von Entfremdung?
Was, wenn wir Geschwindigkeit mit Sinn verwechseln?
Und Effizienz mit Erfüllung?
Was wäre, wenn das eigentliche Ziel
nicht darin besteht,
irgendwo anzukommen –
sondern einfach nur -
unterwegs zu sein?
🌾 Die Einladung
Vielleicht könnten wir wieder lernen,
zu schlendern.
Nicht die schnellste,
sondern die schönste Strecke wählen.
Nicht mehr zu rennen,
um nichts zu verpassen,
sondern innezuhalten –
und zu spüren, was jetzt schon da ist.
Weniger. Tiefer. Besser. Schöner.
Nicht: schneller, mehr, billiger, bequemer.
Sondern: langsamer, weniger, sorgfältiger, wahrer.
Denn vielleicht ist „weniger“ gar kein Verzicht,
sondern eine Befreiung - und eine Rückkehr.
Eine Rückkehr zum Leben selbst,
zum Atem,
zum Wesentlichen.
Wenn du es eilig hast – geh langsam.


Vielen Dank! Wieder ein toller Impuls!!!
Ein paar Assoziationen: …aus dem beruflichen Umfeld: „Stillstand ist Rückschritt!“; Ein Gedicht von William Blake: „Improvement makes straight roads, but the crooked roads without improvement are roads of Genius.“; Hermann Hesse: „Die Kunst des Müßiggangs“; Rafael Laguna de la Vera, Thomas Ramge: „Sprunginnovation: Wie wir mit Wissenschaft und Technik die Welt wieder in Balance bekommen“
Tscha! (Tja!)
Mir wurde heute das Glück zuteil, meiner Enkeltochter dreimal hintereinander dasselbe Buch vorlesen zu dürfen!!!
„Gehen ist ein fortwährender, kontrollierter Fall.“
Paul Valery
🙃